Tagebuch

16. Oktober 2025

Gut, dass wir auf den Ausflug nach Riva del Garda mit Schiffffahrt nach Limone nicht verzichteten. Selbst Limone war nett, obwohl wir dort wirklich schon alles kannten. Ein Limoncello Spritz mit Seeblick geht immer. Aber Riva sahen wir, als wären wir nie dagewesen. Fuhren mit der Seilbahn nach oben, erklommen oben alles Erreichbare, schauten herunter und entdeckten dann eine Altstadt, von der wir keine Ahnung hatten. Ich erinnere mich nur eines Sechser-Weinträgers aus Plaste, in dem ich die neuen Biere transportierte 1993, als wir von Nago aus dort waren. Sowohl von Garda aus als auch von Torri del Benaco her schien es uns zu weit bis Riva und zu wenig attraktiv. Welch ein Irrtum. Drei Mitreisende verpassten in Limone das Schiff, das natürlich nicht wartet. Es waren die üblichen Verdächtigen, die immer spät oder zu spät kommen und mit ihrem Unschuldsblick danach in jedem Sommertheater auftreten könnten. Und morgen geht es schon wieder heimwärts.

15. Oktober 2025

Vor 30 Jahren sahen wir erstmals Vaduz, die Hauptstadt Liechtensteins, später waren wir noch zweimal dort, zuletzt 2002 von Wildhaus in der Schweiz her. Heute Freizeit, die am Ende 17.853 Schritte einträgt. Wir laufen am Levico See fast bis zum Ende und wieder zurück, eine Umrundung wäre dann doch zu viel geworden. Im Centro sitzen wir mit Lugana und Salami, neben uns einer aus unserem Bus, der nicht verstehen kann, warum eine bestimmte Sorte Augustinerbräu hier nicht angeboten wird, die es doch „bei uns“ überall gibt. Typen wie ihn gibt es bei uns noch häufiger als das Augustinerbräu, sie machen uns beliebt in vielen Ländern. Heute sehen wir auch die Kirche von innen. Verblüffend riesig für solch kleinen Ort. Gedacht wird im Oktober noch immer Rina Frisanco, die ihren 101. Geburtstag knapp verfehlte, sie starb am 12. Mai. Das Eis in Levico Terme ist schwer schlagbar, der ältere Herr, der es verkauft, sieht immer noch aus wie vor drei Jahren.

14. Oktober 2025

Dies der Tag, um den sich die Reise gruppiert. Reiseleiterin Sabine hat das Datum erkannt, fragt aber vor der Bekanntgabe im Bus. Es gibt ein Präsent und später im Hotel sogar noch Secco für alle. Vorher aber sind wir in Trento, der Stadt, die heute noch auf das Konzil stolz ist, mit dem der Fehlversuch unternommen wurde, die gespaltene Kirche wieder zu einigen. Trento ist eine Stadt überraschender Schönheit, wir haben großes Glück mit der Stadtführerin, Pech mit geizigen Frauen, die kein Trinkgeld geben und sich sogar deshalb streiten. Zum Lugana für magere 4 Euro gibt es verblüffend viel Baguette mit ebenfalls magerer Mortadella. Danach die Ferrari Sektkellerei. Keine Verwandtschaft mit Ferrari, der Name sei in Italien wie Rosso und Bianco verbreitet. Wir kosten natürlich nicht die Sorte, von der die Flasche 1100 Euro kostet, doch auch der für 22 Euro ist von edler Güte. Besser reich und gesund als arm und krank, es bewahrheitet sich in vielen Situationen.

13. Oktober 2025

Kleine Seenrundfahrt: Levico-See und Caldonazzosee. Stellen, wo ein Bus halten kann für einen Fotostopp, sind rar. Mehr Zeit haben wir in Pergine Valsugana, wo es einen Kreuzgang gibt, der vor allem Beato Carlo Acutis gewidmet ist und in die Welt der Wunder einführt. Karten zeigen, in welchem Land welche Wunder sich wo ereigneten. Erkenntnis für Deutschland: Die Wunder sind auf katholische Gegenden fixiert, sie lieben zum Beispiel Bayern, die Fläche der einstigen DDR ist von Wunderarmut gebeutelt. Nur Wilsnack in Brandenburg tanzt aus der Reihe. Weil wir zeitig wieder im Hotel sind, können wir zum Ortskern von Levico laufen, sehen beide Hotels, in denen wir 2022 übernachteten. Eins ist jetzt ein Family Hotel, das andere geschlossen und tot. Corona wie vielerorts offenbar. Wir laufen von oben durch den langgezogenen Park bis zum See, herrlicher Herbst mit Farben vor Blau. Berge im Hintergrund, dafür wurden früher Kitschpostkarten erfunden.

12. Oktober 2025

Mit diesem Busfahrer Frank sind wir schon in Sardinien gewesen und zuletzt in Ungarn. Er fährt gern eigene Strecken und es sind immer gute Entscheidungen. Wir vermieden mit ihm einige Staus, fuhren durch München, wo andere außen herum rollten. Er bevorzugt Garmisch-Partenkirchen, es ist eine hübsche Strecke. Levico Terme kennen wir von zwei Zwischenübernachtungen von der Rom-Reise 2022, jetzt kommen fünf Übernachtungen hinzu. Für Italien ergibt das dann 222, sieben weitere in Venedig 2026 sind schon gebucht. Die Überraschung vor Ort: Wir haben Zimmer 114 mit Balkon und einer Duschkabine mit gläsernen Wänden. Klarglas, nicht Milchglas, also volle Sicht. Die meisten tragen es mit Fassung, die vielen alten Paare wissen, wie sie aussehen, wenn sie nichts anhaben, es gibt aber unter allein reisenden Frauen auch die Stimme: So gut kennen wir uns wieder nicht. Nahe am Hotel ein Supermarkt zum Einkauf des Balkonweines, Kühlschrank ist vorhanden.

11. Oktober 2025

Der 97. Geburtstag meiner Mutter fällt zusammen mit dem 200. von Conrad Ferdinand Meyer. Noch immer wartet „Engelberg“ darauf, zu Ende gelesen zu werden. Nicht weniger als fünf Meyer-Bücher liegen direkt vor meiner Nase unterm Bildschirm, drei davon zu Ende gelesen, zwei warten noch. Mein Zeitungspacken ist heute wegen der Buchmesse dick und teuer, immerhin ist alles da, was ich haben wollte. Ich bestelle für kommende Woche nur die Junge Welt, die mit ihrer Beilage regelmäßig weit weg ist von dem, was sie wohl als Mainstream verstehen. Freilich liest die Bücher, die sie bejubeln, niemand außer ihnen selbst und ihrem radikalen Fanblock. Da wir morgen bereits um 4.20 Uhr am Busbahnhof sein müssen, nehmen wir uns vor, nichts bis auf den letzten Moment zu verschieben. Koffer fertig, Reiseverpflegung im Kühlschrank, alles kontrolliert. Wir vergessen immer irgendetwas. Möge es zur letzten Reise 2025 nichts Wichtiges sein. Wecker sind gestellt.

10. Oktober 2025

Nach dem ungarischen Literatur-Nobelpreis gestern (László Krasznahorkai) heute der für Frieden doch nicht an Donald Trump, sondern an Maria Corina Machado. Den einen kenne ich ein bisschen, die andere gar nicht. Vom einen kamen Romane auf kleine Bühnen in Thüringen und auf die große der Staatsoper in Berlin. Ich frage gar nicht erst lange, was Romane auf Opernbühnen zu suchen haben. Brecht wollte einst das Kommunistische Manifest in Lyrik verwandeln, einige Schriftsteller im Kleinstaat DDR widmeten sich der Herausforderung, Parteitagsthesen in nichtantagonistische Konflikte schaffender Werktätiger aus der Arbeiterklasse und der mit ihr verbündeten Bauern zu übersetzen. So hatten wir phasenweise schon eine sozialistische Menschengemeinschaft in der Literatur, die im Leben noch nicht einmal zur frühsozialistischen Hausgemeinschaft hatte gedeihen wollen. Immerhin: sowohl meine Eltern in Gehren als auch ich führten kurzzeitig das Hausbuch.

9. Oktober 2025

Mit heutigem Donnerstag erreiche ich Seite 205 in „Alte und neue Berliner Grabsteine“, nachdem ich Anfang September beschlossen hatte, dieses Buch wie ein unbekanntes zu lesen, obwohl ich „Berliner Grabsteine“ schon kannte. Doppelt hält besser, ist das Motto, zumal die erweiterte West-Ausgabe ja keineswegs einfach nur nachträgt, was neu hinzukam seither. Den Friedhof Herbert-Baum-Straße 45 kenne ich inzwischen selbst ganz gut. Isidor Kastan bekam seinen Vornamen, der seinem Kollegen Engel vom schreibenden Grabstein-Wanderer vorenthalten wurde. Der Satz am Ende meines Lektüre-Happens stammt von Karl Werder, der einst Professor war: „Das Schönste, was ein Mensch hinterlassen kann, ist, dass man lächelt, wenn man sich seiner erinnert.“ Karl Friedrich Werder war ein Hegelianer in Berlin. Lächelt jemand bei Hegelianern? Einer hieß Karl Marx ohne Friedrich dazwischen. Da lächeln dann doch einige, die seinen Frühschriften huldigten.

8. Oktober 2025

In Südkorea feiern sie heute den Tag des koreanischen Alphabets. Es sei ihnen gegönnt. Was haben eigentlich die Nordkoreaner für ein Alphabet? Es ist Welttag der Kraken, die wir alle als Propheten des Fußballs schätzen und in den USA Tag der Piroggen. Woher wissen die Amis, was Piroggen sind? Haben sie sich das Rezept am Stuttgarter Platz geklaut oder schenken lassen in Berlin, als die Russen aus den Kellern kamen, wo sie Kohlen klauten? Wolfgang Heise wäre heute 100 Jahre alt, der sich einigen rückblickend in den Größten der Großen verwandelt hat, die längste Praline der DDR-Philosophie gewissermaßen: das für Leser mit Notabitur nach 13 Jahren. Unsereiner liest weiter tapfer Jens-Gerlach-Gedichte: „Dorotheenstädtische Monologe“. Der lässt Ludwig Devrient, den großen Mimen, klagen: „Die meisten meiner vielen Rollen / schrieb der Kassierer, nicht ein Dichter vor!“ Und sagen: „sogar ein Ehrengrab ist nur ein stummes Loch!“ Zwei Ausrufezeichen!

7. Oktober 2025

Was haben wir früher gefeiert! Was haben uns Bürger aus dem alten Bundesgebiet verraten, dass manche immer noch an diesem Tag heimlich anstoßen, Flasche im Schreibtisch links. Empörung wallte. Wer nicht pflichtgemäß die Gänsehaut des Grauens auf dem Rücken bei Bedarf vorzeigen konnte, musste sich als roter Kniestrumpf verdächtigen lassen. Hans Hartz, der Sangesbruder, sang: für uns alle „Die weißen Tauben sind müde“ und ehe er noch 60 Jahre alt wurde, sank er. Er war nicht der Erfinder von Hartz I bis III. Und IV kam erst posthum. Wir hatten für eine Weile den am schnellsten zu- und abnehmenden Außenminister nach dem Krieg. Ihm und seinen Hustentruppen verdanken wir alle die doppelte Besteuerung und die doppelte Krankenversicherung betrieblicher Altersversorgungen, was mir einen fünfstelligen Betrag aus Herz und Börse riss. Seither ist Rot-Grün für mich: ich verrate es nicht. Ist der letzte Euro nach zehn Jahren nachgezahlt: null Pardon.

6. Oktober 2025

Und schon landen „okzidentale snapshots“ im Register. Die alberne Kleinschreibung regt mich seit Jahren nicht mehr auf, die fehlende Interpunktion nervt nur als eine Marotte. Niemand käme mehr auf die Idee, solchen Formquark als seine private Revolution gegen was eigentlich zu verkaufen. Ein Blick ins Verzeichnis der kuriosen Feiertage offenbart: heute ist Nudel-Tag, Knoblauch-Tag und Tag des verrückten Hutmachers. Gar nicht kurios sind der ebenfalls aufgeführte Internationale Tag der Architektur und der Europäische Tag der pflegenden Angehörigen. Vielleicht gibt es in schwer zugänglichen Bergregionen auch den Tag des überforderten Personals oder den Tag der Zitronen-Presse. Die Amerikaner scheinen nicht nur den größten Präsidenten aller Zeiten zu haben, sie haben auch die größten Feiertage vorsichtshalber nur für sich: morgen noch den Tag der Badewanne und den Obst-am-Arbeitsplatz-Tag, wir nur den deutschen Tag des Mineralwassers und nix mit DDR.

5. Oktober 2025

Die aus dem Urlaub mitgebrachte Erkältung klingt so weit ab, dass wieder Schritte gelaufen werden können. Wie immer in solchen Fällen beschuldigen wir die Klimaanlage des Busses, die beschwert sich nie, wenn wir sie in ein schlechtes Licht stellen. 25 Jahre ist es her, dass wir auf Nachrichten von unserer Tochter warteten, die wir am 30. September in Calais dem Hovercraft gen England übergeben hatten. Allerhand Trennungsschmerz. Später lief alles immer besser. Vor zwanzig Jahren warteten wir auf unsere erste und bis heute einzige Kroatienreise, die näher rückte. Unter denen, die heute ihren 77. Geburtstag feiern, ist einer, den ich seit Jahren nur noch sehr selten sehe und immer, wenn mir das auffällt, bin ich eher froh, dass es so ist. Vor 25 Jahren landete er wegen seines Geizes in meinem Tagebuch. Für sein Frühstücksmüsli sortierte er Brauchbares aus Vogelfutter und war sehr stolz auf diese seine Entdeckung. In guten Momenten schlug er drei bis fünf Gitarren-Akkorde.


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